Liebe Genossinnen und Genossen!
Was für aufregende Tage. Ihr seid mit Klopfgeräuschen im Auto, Problemen im Büro und dem TUI-Frühbucher-Rabatt beschäftigt, während die Einschläge näher kommen. Kiel mobilisiert die Landesreserve, um die Sicherheit junger Frauen in Einkaufszentren der Landeshauptstadt sicher zu stellen. KIEL. MOBILISIERT. DIE. LANDESRESERVE. DER. POLIZEI. Was gibt es heute eigentlich auf RTL2? Und wann kommt endlich der Frühling mit den kurzen Röcken bei den jungen Käthen?
Gutmenschen relativeren das jetzt sofort wieder, wie z.B. mein Lieblingsarschloch Hartmut von der anderen Straßenseite. Da fällt mir ein… Hartmut, du alter Nassauer: Wann kommt denn jetzt dein versprochenes Freifunk-Netz für die Zuwanderer auf meinem Hinterhof? Lass mich raten: Du hast schlicht und ergreifend nicht das Geld dafür. Das soll mal schön der Staat zahlen, deine große Ankündigung ist vergessen. Du bist eben nur eine Maulhure. Zahlen müssen wie immer andere.
Kinners, lassen wir das Geplänkel, kommen wir zum Wesentlichen. Es gibt zwei Bücher, die man in diesen Tagen lesen muss.
Ja, lesen MUSS.
Heinz Strunk, Der goldene Handschuh. Weil der Typ einfach geil abliefert.
Colin Crouch, Postdemokratie. Weil dadurch einige Fragen beantwortet werden. Wer das „Dschungelcamp“ oder „Fack ju Göhte“ liebt, kann dieses Heftchen nicht mehr aus der Hand geben. Ich glaube, ich habe niemals zuvor so viele Textstellen im Kindle markiert.
Postdemokratie des Politikwissenschaftlers Colin Crouch ist eine Diagnose unserer verweichlichten und politisch korrekten Gesellschaft. Was ist mit uns passiert, was ist aus uns geworden und warum? Nach seiner Auffassung zeigen ale westlichen Staaten Anzeichen Tendenzen der Ablösung des Wahlvolkes als Souverän, da die Politik Entscheidungsprozesse an Lobbygruppen und Expertengremien abgibt. Politische Führer konzentrieren sich auf mediale Präsenz und Marketing, anstelle von sachlichen Inhalten. Damit werden die demokratischen Mechanismen der politischen Willensbildung durch Wahlen und Abstimmungen immer mehr obsolet. Kennzeichen dieser Postdemokratie sind Rückgang der Wahlbeteiligung, Ansehensverlust der Politiker und der Verfall des Gemeinwesens – überall im Alltag zu beobachten. Vor dem Hintergrund einer sich immer weiter von den Wählern entfernenden Politikerklasse und der Abgabe nationalstaatlicher Kompetenzen an intransparente suprastaatliche Organisationen wie die EU oder TTIP.
Das Buch aus dem Jahre 2004 erklärt,
- warum die SPD heute als Arbeiterpartei in der Bedeutungslosigkeit verschwindet
- warum Menschen scheinbar teilnahmslos zugucken, wie Politiker mit Fehlentscheidungen die Gesellschaft radikal verändern
- warum die Diskrepanz zwischen Realtität und Wahrnehmung der Politiker immer größer zu werden scheint
- warum die Interessen von Google und Amazon unsere Gesellschaft stärker beeinflussen als uns lieb sein kann
- warum diese Krise eine große Chance für uns alle ist (und damit sind nicht die Zuwanderer als zukünftige Rentenbeitragszahler gemeint)
Übrigens hat auch dieses Buch am Rande vor dem Problem der unkontrollierten Zuwanderung in Europa gewarnt. Ein Buch aus 2004 warnt vor einer Entwicklung, die unsere Politiker vollkommen überrascht hat und heute noch nicht im vollen Ausmaß verstanden worden ist.
Beispiele meiner Markierungen:
Die relativ niedrigen Anforderungen, die im Rahmen des liberalen Demokratieverständnisses an das Funktionieren des politischen Systems gestellt werden, führen zu einer Zufriedenheit, die uns blind machen kann für ein neuartiges Phänomen, das ich als »Postdemokratie« bezeichnen möchte. Der Begriff bezeichnet ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, daß Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur auf die Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten.
Die Bürger wiederum verloren ihre Illusionen, sie waren zunehmend gelangweilt oder immer stärker mit den Problemen des Alltags beschäftigt. Nach den großen Erfolgen der politischen Reformen am Anfang dieser Phase waren die Probleme nun wesentlich komplexer, es wurde immer schwieriger, informierte Positionen einzunehmen, intelligente Kommentare abzugeben oder überhaupt zu wissen, auf welcher »Seite« man eigentlich stand.
Der Massenjournalismus begann, sich den Werbetext zum Vorbild zu nehmen: sehr kurze Nachrichten, die nur ein äußerst geringes Maß an Konzentration erfordern; man setzt die Sprache ein, um möglichst starke Bilder hervorzurufen, nicht um den Intellekt anzusprechen. Werbung ist keine Form des rationalen Dialogs. Sie baut keine Argumentation auf, die sich auf Beweise stützen könnte, sondern bringt ihr Produkt mit speziellen visuellen Vorstellungen in Verbindung.
Und warum liegt in dieser Krise eine große Chance?
Dem idealtypischen Modell der Demokratie am nächsten kommen Gesellschaften vermutlich in den ersten Jahren nach ihrer Einführung oder nach tiefen politischen Krisen, Zeiten, in denen der Enthusiasmus für dieses politische System weitverbreitet ist; in denen sich gewöhnliche Menschen in vielen Gruppen und Organisationen an der Gestaltung einer politischen Agenda beteiligen, die wirklich ihren Interessen entspricht.
Wer an der aktuellen Entwicklung interessiert ist, kennt solche Bücher bereits. Dann gehört auch Flassbeck zur täglichen Lektüre. Mit seiner aktuellen Einschätzung unserer Situation raubt er einem die Nachtruhe. Die anderen gucken doch lieber das RTL2 Programm an. Ey, boa, ey, die Titten, guck mal da!
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Im Hinblick auf das Fernseh-„Interview“ der Bundeskanzlerin noch einmal der Hinweis auf die Herren Hitler und Honnecker, beide wurden erst durch die Wand am Ende der Irrfahrt gestoppt. Und viele folgten in TREUE UND EHRE.
WIR SCHAFFEN DAS.
Deutsche Kanzler irren nicht!